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Tatort
Südsee |
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Von
der Hollywoodfassade zur Wirklichkeit Südsee, Bounty, Abenteuer, das ist der Stoff, aus dem die Träume sind. Der Zauber der Südsee, die Vorstellung von einem Leben auf den Inseln ewigen Frühlings, wo die Natur ohne Mühen gibt und überall Schöne bereit sind, liebevoll ihre Arme zu öffnen, nahmen hier ihren Ausgang. Vier Spielfilme wurden bislang über die Meuterei auf der Bounty gedreht: 1934 mit Errol Flynn als Fletcher Christian, ein Jahr danach mit Charles Laughton als Capt. Bligh und Clark Gable als Fletcher Christian. 1960 übernahmen Trevor Howard und Marlon Brando die beiden Rollen. 1984 waren es Anthony Hopkins und Mel Gibson. |
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So
bedeutend die Namen der Darsteller sind, die sich mit diesem historischen
Stoff verbunden haben, so unterschiedlich geben sie die jeweiligen Charaktere
der beiden Kontrahenten wieder. Tatsache immerhin ist, daß der
unerschrockene Kapitän es unter übermenschlichen Gefahren
und Entbehrungen schaffte, seine 18 Getreuen in dem 7 m langen Ruderboot
zu einer holländischen Niederlassung auf der indonesischen Insel
Timor zu steuern. Die 6000 km lange Fahrt über den Pazifik gilt
seither als eine der größten Leistungen in der Geschichte
der Seefahrt. Die Meuterer unter Anführung des Seeoffiziers Fletcher
Christian kehrten zu ihren Freundinnen nach Tahiti zurück. |
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Hier
enden stets die Spielfilme, und hier begann die Spurensuche des fliegenden
Rechtsanwalts. Was ist aus den Meuterern geworden? Auf welchen Inseln
hatten sie Zuflucht gesucht? Welches waren die wirklichen Hintergründe
der Meuterei? Henning Huffer setzte sich an den Steuerknüppel seiner
einmotorigen Sportmaschine, um dort, wo alles geschah, die Wahrheit
herauszufinden. Er flog kreuz und quer durch die Südsee, recherchierte
an Universitäten in Australien, durchstöberte Londoner Archive
und korrespondierte mit der britischen Admiralität. Er trieb das
Log- und Heuerbuch der Bounty auf, interviewte Historiker und fand die
Nachfahren der Bounty-Meuterer, die auf Pazifikinseln, in Neuseeland
und Australien verstreut sind. |
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Abenteuer gestern und heute Heraus
kam eine originelle Kreuzung aus spannend aufbereitetem Flugabenteuer
und einer kriminalistischen Rekonstruktion der legendären Südsee-Meuterei.
Obwohl als Sachbuch konzipiert, versteht es die von Erlebnissen überquellende
Erzählung, den Leser mit einer detailgenauen, fast romanhaften
Darstellungsform zu fesseln. Im Cockpit des kompakten Tiefdeckers werden
wir Zeuge verzweifelter Kämpfe mit tropischen Wirbelstürmen,
gegen bleierne Müdigkeit auf fast 20stündigen Nonstop-Flügen,
spüren Angst und Bangigkeit aufsteigen, wenn der Sprit auszugehen
droht und die gesuchte Insel noch immer nicht am Horizont auszumachen
ist. |
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Aus
dem Abenteuer der Gegenwart tauchen Buch und Film mit beziehungsreichen
Metaphern kontinuierlich ein in den historischen Kriminalfall. An den
Originalschauplätzen verwandeln sich die grellen Zelluloid-Figuren
aus Hollywood in glaubhafte Charaktere eines Dramas von shakespearescher
Dimension. Aufgeräumt wird namentlich mit dem bekannten Klischee
von William Bligh als erbarmungslosem, brutalem Leuteschinder. Wir lernen
den britischen Kapitän als einen zwar lautstarken und in seiner
Wortwahl wenig taktvollen, aber zugleich umsichtigen, ja fürsorglichen
Menschen und Naturforscher kennen, erleben in ihm einen geradezu begnadeten
Navigator und Kartographen. Mit großer Sachkunde und anschaulichem
Quellenmaterial weist Henning Huffer nach, daß Fletcher Christian,
der Anführer der Meuterer, weder das Schiff von einem bösartigen
Tyrannen befreien wollte, noch daß die Sehnsucht nach der zurückgelassenen
Südseegeliebten die Triebfeder der Meuterei war. Den tieferen Grund
für die spontane Einzelaktion sieht der promovierte Jurist im Auseinanderbrechen
einer aus den Fugen geratenen Freundschaft zweier Männer, der Freundschaft
zwischen Capt. Bligh und Fletcher Christian. Daß diese sich möglicherweise
nicht auf ein bloß kameradschaftliches Verhältnis zwischen
Mentor und lernbegierigem Protegé beschränkte, wird als
gewagter aber nicht abwegiger Gedanke plausibel gemacht. |
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Massaker im Paradies Überraschend die Feststellung, daß die Meuterer auf der einsamen Pitcairn Insel mit ihren tahitischen Frauen nicht das erhoffte Paradies fanden. Schon nach wenigen Jahren kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit den eingeborenen Männern. Unter der zusammengewürfelten Kolonie aus Europäern und Polynesiern wüteten Mord und Totschlag. Am Ende überlebte nur einer der Meuterer, ein einfacher Matrose namens John Adams. Er führte die tahitischen Frauen und die auf 23 Köpfe angewachsene Kinderschar schließlich auf den Pfad christlicher Tugend und Eintracht zurück. Erst
im Jahre 1808, über 18 Jahre nach dem Verschwinden der Bounty,
wurden die Reste der kleinen, gemischtrassigen Kolonie zufällig
von einem amerikanischen Robbenfänger auf dem entlegenen Eiland
entdeckt. |
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Die Zahl der Meuterer-Nachkommen wird heute auf 2500 geschätzt. Die meisten von ihnen leben mittlerweile in Norfolk, einer zu Australien gehörenden Insel im Westpazifik. Auf dem ungewöhnlichen, fast nordisch wirkenden Eiland macht uns Henning Huffer mit den Trägern berühmter Meuterer-Namen bekannt, den Christians, McCoys und Youngs. Erstaunlich zu sehen, wie lebendig die historische Hinterlassenschaft unter ihnen noch ist. So hat sich in der tahitisch-englischen Meuterergemeinschaft während der jahrzehntelangen Abgeschiedenheit eine eigene Sprache entwickelt, ein Kauderwelsch aus dem Country-Englisch des ausgehenden 18. Jahrhunderts und Tahitisch. Auch sonst läßt die Vergangenheit im Vokabular der Bounty-Nachfahren grüßen. Wenn einer von ihnen sehr erbost über jemanden ist und seinem Zorn wirklich handfest Luft macht, greift er zum schonungslosesten aller Ausdrücke: "Bloody Bligh!" [Verdammter Bligh]. Noch
immer halten knapp 60 Nachkommen der Bounty-Meuterer auf der einsamen
Pitcairn Insel aus, dem ursprünglichen Zufluchtsort im östlichen
Winkel Polynesiens. Die Zahl nimmt aber wegen der großen Isolation
von Jahr zu Jahr ab. |
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Das Ende am Galgen Nicht
alle Meuterer hatten sich dem Anführer Fletcher In einem dramatischen Prozeß sprach ein Marinegericht die meisten von ihnen frei. Andere wurden begnadigt. Am Ende mußten lediglich drei Seeleute nach den Buchstaben des Gesetzes für die Meuterei auf der Bounty büßen. Sie wurden am 29. Oktober 1792 in der südenglischen Hafenstadt Portmouth, damaliger Rechtspraxis folgend, an den Rahen eines Schiffes aufgeknüpft. Daß
die drei Delinquenten, unter ihnen ein 16jähriger Schiffsjunge,
den einfachen Matrosenrängen entstammten, während alle Offiziere
davongekommen waren, löste in der englischen Bevölkerung nicht
geringes Mißfallen aus. Geld rettete das Leben der einen, so hieß
es, wohingegen die anderen ihrer Armut zum Opfer fielen. |
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Chirac und die Bounty Immer wieder verblüffend sind die Parallelen und Brechungen, die Henning Huffer zwischen den geschichtlichen Ereignissen und der Gegenwart zeichnet. Hatte Capt. Bligh auf seiner Bounty-Mission Tahiti noch als "Paradies auf Erden" besungen, führte er bei einem weiteren Aufenthalt nur wenige Jahre später bitter Klage über die negativen Veränderungen, die der Besuch zahlreicher europäischer Schiffe in Tahiti unterdessen nach sich gezogen hatte. "Wie glücklich wären diese Menschen", zitiert Henning Huffer einen Zeitgenossen Capt. Blighs aus dem Jahre 1792, "wenn nie ein Europäer sie besucht hätte! Zu unserer Schande muß ich sagen, daß Krankheiten und Schießpulver die einzigen Gaben sind, womit wir ihre Gastfreundschaft vergolten haben." Von
dem 200 Jahre zurückliegenden Kulturschock schlägt der Autor
eine direkte Schneise in die Gegenwart und übt scharfe Kritik am
französischen Spätkolonialismus in Tahiti und Neukaledonien,
an der Arroganz und Rücksichtslosigkeit der Regierung Chirac, deren
jüngste Atombombentests auf dem Atoll Muroroa zu weltweiten Protesten
geführt haben. Henning Huffer läßt den Führer der
Front zur Befreiung Polynesiens, Oscar Temaru, zu Wort kommen mit seiner
Forderung nach Freiheit für Polynesien und nach einem Ende der
fortwährenden Bestrebungen, dem polynesischen Inselvolk auf der
anderen Seite des Erdballs französische Sprache und Kultur ("Grandeur")
überzustülpen. |
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Kaum
bekannt dürfte in Europa auch die Tatsache sein, daß Frankreich
dem bekannten schwedischen Buchautor Bengt Danielsson wegen dessen kritischer
Äußerungen zu den Atomtests die weitere Akkreditierung als
schwedischer Konsul in Tahiti verweigert hat. Als Motto und politische
Botschaft stellt der Autor an den Anfang des Buchs neben das Zitat eines
Bounty-Meuterers die Hoffnung, daß es nach 200jähriger Kolonialepoche
auch den letzten Bewohnern der Südseeinseln gelingt, aus noch immer
andauernder französischer Abhängigkeit freizukommen. |
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Südseeromantik Abseits
der betrüblichen Seite pazifischer Gegenwart führen Buch und
Film auf unberührte Südseeatolle von zauberhafter Schönheit
und Anmut, an verlassene, palmengesäumte Gestade und zu lauschigen
Strohhütten, wo die heitere, unbeschwerte Lebenswelt der Südseeinsulaner
noch zu finden ist. Hinreißende Luftaufnahmen von blau schimmernden
Lagunen, Korallenriffs und grazilen Palmeninseln umrahmen die im Buch
einfühlsam geschilderten Freundschaften mit blumengeschmückten
Insulanerinnen. Poesievoll beschwört Henning Huffer die beschauliche,
familiäre Eintracht dieser Südseeidylle. In der schwärmerischen
Begeisterung für die Exotik schwingt unüberhörbar Zivilisationsmüdigkeit
mit. Pyramiden, Tempel oder Kathedralen, lesen wir, sucht der Kulturreisende
in Polynesien vergebens. Das Ringen um Monumentalität und Unsterblichkeit,
den Schweiß von Heeren schuftender Sklaven oder Fronarbeiter haben
die Polynesier anderen Völkern überlassen. In beruhigendem
Abstand weit hinter dem Horizont wähnt sich Henning Huffer der
Sprödigkeit eines Büroalltags und wichtigtuerischer Weltpolitik
entrückt. Im Schatten von Palmen belächelt er das magensäuerliche
Ringen um Karriere, Besitz und Status. |
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Aussteigen oder nicht? Der
Traum vom sorglosen Leben auf glückseligen Eilanden im Stillen
Ozean wird freilich vom Autor selbst wieder in Frage gestellt. Als sein
Begleiter, ein schwedischer Fotograf, sich während der gemeinsamen
Südseereise entscheidet, auszusteigen und auf der Insel Rarotonga
seine neue Heimat einzurichten, schließt sich Henning Huffer diesem
Schritt nicht an. Die Einsicht in das Abgeschnittensein auf dem kleinen,
entlegenen Eiland, in die Vergeblichkeit eskapistischer Wünsche
kann er auch im Taumel von Verliebtheit und Südseeromantik nicht
vollständig abschütteln. Aussteiger, die "Wilde"
werden wollen, bleiben, so deuten die selbst artikulierten Vorbehalte
an, letztlich doch "Zivilisierte". |
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