2. Aufl. 1998; 483 Seiten mit Farbbildern, Karten und Übersichten; handgebunden, kaschierter Schutzumschlag
€ 23,-; CHF 42,-.

Fidelitas Film; Videorealisation TV-Media 1997, DVD 41 Min.;
€ 18,-; CHF 34, -
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Tatort Südsee
Die abenteuerliche Flugexpedition
des Karlsruher Piloten und
Rechtsanwalts Henning Huffer
als Buch und Film


Buch-/Film-Rezension von Klaus E. R. Lindemann


Fünf Weltrundflüge, etliche tausend Flugstunden im Cockpit einer Lufthansa-Maschine, ungezählte Reportagen und Fernsehfilme lagen hinter dem Karlsruher Rechtsanwalt und Linienpiloten, ehe er sein großes Buch über die Südsee abschloß. Zusammen mit dem nunmehr vorliegenden 483seitigen Werk kommt der gleichnamige ARD-Film in einer Neubearbeitung als DVD auf den Markt. Der Abenteuerflug in die Vergangenheit, so der Untertitel, führt auf einen durch die Tropennacht kreuzenden englischen Dreimaster. In den frühen Morgenstunden des 28. April 1789, am Vorabend der französischen Revolution, riß der wachhabende Offizier jenes Schiffs seinen Kapitän rüde aus dem Schlaf, enthob ihn seines Amtes und überließ ihn zusammen mit 18 Begleitern in einem Beiboot seinem Schicksal. Kein Tropfen Blut wurde vergossen; nicht einmal ein Fausthieb fiel. Und doch wurde aus dem nächtlichen Gewaltakt die berühmteste Meuterei der christlichen Seefahrt. Der Name des Schiffs: Bounty. Sein Kapitän: William Bligh. Der Tatort: die Tonga Inseln.

 


 
Von der Hollywoodfassade zur Wirklichkeit

Südsee, Bounty, Abenteuer, das ist der Stoff, aus dem die Träume sind. Der Zauber der Südsee, die Vorstellung von einem Leben auf den Inseln ewigen Frühlings, wo die Natur ohne Mühen gibt und überall Schöne bereit sind, liebevoll ihre Arme zu öffnen, nahmen hier ihren Ausgang. Vier Spielfilme wurden bislang über die Meuterei auf der Bounty gedreht: 1934 mit Errol Flynn als Fletcher Christian, ein Jahr danach mit Charles Laughton als Capt. Bligh und Clark Gable als Fletcher Christian. 1960 übernahmen Trevor Howard und Marlon Brando die beiden Rollen. 1984 waren es Anthony Hopkins und Mel Gibson.

 
 

So bedeutend die Namen der Darsteller sind, die sich mit diesem historischen Stoff verbunden haben, so unterschiedlich geben sie die jeweiligen Charaktere der beiden Kontrahenten wieder. Tatsache immerhin ist, daß der unerschrockene Kapitän es unter übermenschlichen Gefahren und Entbehrungen schaffte, seine 18 Getreuen in dem 7 m langen Ruderboot zu einer holländischen Niederlassung auf der indonesischen Insel Timor zu steuern. Die 6000 km lange Fahrt über den Pazifik gilt seither als eine der größten Leistungen in der Geschichte der Seefahrt. Die Meuterer unter Anführung des Seeoffiziers Fletcher Christian kehrten zu ihren Freundinnen nach Tahiti zurück.

 
 

Hier enden stets die Spielfilme, und hier begann die Spurensuche des fliegenden Rechtsanwalts. Was ist aus den Meuterern geworden? Auf welchen Inseln hatten sie Zuflucht gesucht? Welches waren die wirklichen Hintergründe der Meuterei? Henning Huffer setzte sich an den Steuerknüppel seiner einmotorigen Sportmaschine, um dort, wo alles geschah, die Wahrheit herauszufinden. Er flog kreuz und quer durch die Südsee, recherchierte an Universitäten in Australien, durchstöberte Londoner Archive und korrespondierte mit der britischen Admiralität. Er trieb das Log- und Heuerbuch der Bounty auf, interviewte Historiker und fand die Nachfahren der Bounty-Meuterer, die auf Pazifikinseln, in Neuseeland und Australien verstreut sind.

 
 

Abenteuer gestern und heute

Heraus kam eine originelle Kreuzung aus spannend aufbereitetem Flugabenteuer und einer kriminalistischen Rekonstruktion der legendären Südsee-Meuterei. Obwohl als Sachbuch konzipiert, versteht es die von Erlebnissen überquellende Erzählung, den Leser mit einer detailgenauen, fast romanhaften Darstellungsform zu fesseln. Im Cockpit des kompakten Tiefdeckers werden wir Zeuge verzweifelter Kämpfe mit tropischen Wirbelstürmen, gegen bleierne Müdigkeit auf fast 20stündigen Nonstop-Flügen, spüren Angst und Bangigkeit aufsteigen, wenn der Sprit auszugehen droht und die gesuchte Insel noch immer nicht am Horizont auszumachen ist.

 
   

Aus dem Abenteuer der Gegenwart tauchen Buch und Film mit beziehungsreichen Metaphern kontinuierlich ein in den historischen Kriminalfall. An den Originalschauplätzen verwandeln sich die grellen Zelluloid-Figuren aus Hollywood in glaubhafte Charaktere eines Dramas von shakespearescher Dimension. Aufgeräumt wird namentlich mit dem bekannten Klischee von William Bligh als erbarmungslosem, brutalem Leuteschinder. Wir lernen den britischen Kapitän als einen zwar lautstarken und in seiner Wortwahl wenig taktvollen, aber zugleich umsichtigen, ja fürsorglichen Menschen und Naturforscher kennen, erleben in ihm einen geradezu begnadeten Navigator und Kartographen. Mit großer Sachkunde und anschaulichem Quellenmaterial weist Henning Huffer nach, daß Fletcher Christian, der Anführer der Meuterer, weder das Schiff von einem bösartigen Tyrannen befreien wollte, noch daß die Sehnsucht nach der zurückgelassenen Südseegeliebten die Triebfeder der Meuterei war. Den tieferen Grund für die spontane Einzelaktion sieht der promovierte Jurist im Auseinanderbrechen einer aus den Fugen geratenen Freundschaft zweier Männer, der Freundschaft zwischen Capt. Bligh und Fletcher Christian. Daß diese sich möglicherweise nicht auf ein bloß kameradschaftliches Verhältnis zwischen Mentor und lernbegierigem Protegé beschränkte, wird als gewagter aber nicht abwegiger Gedanke plausibel gemacht.

 
   

Massaker im Paradies

Überraschend die Feststellung, daß die Meuterer auf der einsamen Pitcairn Insel mit ihren tahitischen Frauen nicht das erhoffte Paradies fanden. Schon nach wenigen Jahren kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit den eingeborenen Männern. Unter der zusammengewürfelten Kolonie aus Europäern und Polynesiern wüteten Mord und Totschlag. Am Ende überlebte nur einer der Meuterer, ein einfacher Matrose namens John Adams. Er führte die tahitischen Frauen und die auf 23 Köpfe angewachsene Kinderschar schließlich auf den Pfad christlicher Tugend und Eintracht zurück.

Erst im Jahre 1808, über 18 Jahre nach dem Verschwinden der Bounty, wurden die Reste der kleinen, gemischtrassigen Kolonie zufällig von einem amerikanischen Robbenfänger auf dem entlegenen Eiland entdeckt.

 
   

Die Zahl der Meuterer-Nachkommen wird heute auf 2500 geschätzt. Die meisten von ihnen leben mittlerweile in Norfolk, einer zu Australien gehörenden Insel im Westpazifik. Auf dem ungewöhnlichen, fast nordisch wirkenden Eiland macht uns Henning Huffer mit den Trägern berühmter Meuterer-Namen bekannt, den Christians, McCoys und Youngs. Erstaunlich zu sehen, wie lebendig die historische Hinterlassenschaft unter ihnen noch ist. So hat sich in der tahitisch-englischen Meuterergemeinschaft während der jahrzehntelangen Abgeschiedenheit eine eigene Sprache entwickelt, ein Kauderwelsch aus dem Country-Englisch des ausgehenden 18. Jahrhunderts und Tahitisch. Auch sonst läßt die Vergangenheit im Vokabular der Bounty-Nachfahren grüßen. Wenn einer von ihnen sehr erbost über jemanden ist und seinem Zorn wirklich handfest Luft macht, greift er zum schonungslosesten aller Ausdrücke: "Bloody Bligh!" [Verdammter Bligh].

Noch immer halten knapp 60 Nachkommen der Bounty-Meuterer auf der einsamen Pitcairn Insel aus, dem ursprünglichen Zufluchtsort im östlichen Winkel Polynesiens. Die Zahl nimmt aber wegen der großen Isolation von Jahr zu Jahr ab.

 
   

Das Ende am Galgen

Nicht alle Meuterer hatten sich dem Anführer Fletcher
Christian angeschlossen. Entgegen seiner ausdrücklichen Warnung ließ sich ein Teil von ihnen in Tahiti nieder, um den Rest ihrer Tage im "Garten Eden" zu beschließen. Doch schon ein Jahr später erschien ein Kriegsschiff, das die englische Admiralität zur Strafverfolgung ausgesandt hatte. Alle zurückgebliebenen Bounty-Matrosen wurden festgenommen und der königlich-britischen Justiz in England überstellt.

In einem dramatischen Prozeß sprach ein Marinegericht die meisten von ihnen frei. Andere wurden begnadigt. Am Ende mußten lediglich drei Seeleute nach den Buchstaben des Gesetzes für die Meuterei auf der Bounty büßen. Sie wurden am 29. Oktober 1792 in der südenglischen Hafenstadt Portmouth, damaliger Rechtspraxis folgend, an den Rahen eines Schiffes aufgeknüpft.

Daß die drei Delinquenten, unter ihnen ein 16jähriger Schiffsjunge, den einfachen Matrosenrängen entstammten, während alle Offiziere davongekommen waren, löste in der englischen Bevölkerung nicht geringes Mißfallen aus. Geld rettete das Leben der einen, so hieß es, wohingegen die anderen ihrer Armut zum Opfer fielen.

 
   

Chirac und die Bounty

Immer wieder verblüffend sind die Parallelen und Brechungen, die Henning Huffer zwischen den geschichtlichen Ereignissen und der Gegenwart zeichnet. Hatte Capt. Bligh auf seiner Bounty-Mission Tahiti noch als "Paradies auf Erden" besungen, führte er bei einem weiteren Aufenthalt nur wenige Jahre später bitter Klage über die negativen Veränderungen, die der Besuch zahlreicher europäischer Schiffe in Tahiti unterdessen nach sich gezogen hatte. "Wie glücklich wären diese Menschen", zitiert Henning Huffer einen Zeitgenossen Capt. Blighs aus dem Jahre 1792, "wenn nie ein Europäer sie besucht hätte! Zu unserer Schande muß ich sagen, daß Krankheiten und Schießpulver die einzigen Gaben sind, womit wir ihre Gastfreundschaft vergolten haben."

Von dem 200 Jahre zurückliegenden Kulturschock schlägt der Autor eine direkte Schneise in die Gegenwart und übt scharfe Kritik am französischen Spätkolonialismus in Tahiti und Neukaledonien, an der Arroganz und Rücksichtslosigkeit der Regierung Chirac, deren jüngste Atombombentests auf dem Atoll Muroroa zu weltweiten Protesten geführt haben. Henning Huffer läßt den Führer der Front zur Befreiung Polynesiens, Oscar Temaru, zu Wort kommen mit seiner Forderung nach Freiheit für Polynesien und nach einem Ende der fortwährenden Bestrebungen, dem polynesischen Inselvolk auf der anderen Seite des Erdballs französische Sprache und Kultur ("Grandeur") überzustülpen.

 
   

Kaum bekannt dürfte in Europa auch die Tatsache sein, daß Frankreich dem bekannten schwedischen Buchautor Bengt Danielsson wegen dessen kritischer Äußerungen zu den Atomtests die weitere Akkreditierung als schwedischer Konsul in Tahiti verweigert hat. Als Motto und politische Botschaft stellt der Autor an den Anfang des Buchs neben das Zitat eines Bounty-Meuterers die Hoffnung, daß es nach 200jähriger Kolonialepoche auch den letzten Bewohnern der Südseeinseln gelingt, aus noch immer andauernder französischer Abhängigkeit freizukommen.

 
   

Südseeromantik

Abseits der betrüblichen Seite pazifischer Gegenwart führen Buch und Film auf unberührte Südseeatolle von zauberhafter Schönheit und Anmut, an verlassene, palmengesäumte Gestade und zu lauschigen Strohhütten, wo die heitere, unbeschwerte Lebenswelt der Südseeinsulaner noch zu finden ist. Hinreißende Luftaufnahmen von blau schimmernden Lagunen, Korallenriffs und grazilen Palmeninseln umrahmen die im Buch einfühlsam geschilderten Freundschaften mit blumengeschmückten Insulanerinnen. Poesievoll beschwört Henning Huffer die beschauliche, familiäre Eintracht dieser Südseeidylle. In der schwärmerischen Begeisterung für die Exotik schwingt unüberhörbar Zivilisationsmüdigkeit mit. Pyramiden, Tempel oder Kathedralen, lesen wir, sucht der Kulturreisende in Polynesien vergebens. Das Ringen um Monumentalität und Unsterblichkeit, den Schweiß von Heeren schuftender Sklaven oder Fronarbeiter haben die Polynesier anderen Völkern überlassen. In beruhigendem Abstand weit hinter dem Horizont wähnt sich Henning Huffer der Sprödigkeit eines Büroalltags und wichtigtuerischer Weltpolitik entrückt. Im Schatten von Palmen belächelt er das magensäuerliche Ringen um Karriere, Besitz und Status.

 
   

Aussteigen oder nicht?

Der Traum vom sorglosen Leben auf glückseligen Eilanden im Stillen Ozean wird freilich vom Autor selbst wieder in Frage gestellt. Als sein Begleiter, ein schwedischer Fotograf, sich während der gemeinsamen Südseereise entscheidet, auszusteigen und auf der Insel Rarotonga seine neue Heimat einzurichten, schließt sich Henning Huffer diesem Schritt nicht an. Die Einsicht in das Abgeschnittensein auf dem kleinen, entlegenen Eiland, in die Vergeblichkeit eskapistischer Wünsche kann er auch im Taumel von Verliebtheit und Südseeromantik nicht vollständig abschütteln. Aussteiger, die "Wilde" werden wollen, bleiben, so deuten die selbst artikulierten Vorbehalte an, letztlich doch "Zivilisierte".

"Keine Sorge", verspricht er dem zurückbleibenden Freund, "ich bin Flieger und deshalb gerne unterwegs. Ich komme wieder und besuche Dich." Vielleicht hat er sich gerade so vor der Ernüchterung früherer Aussteiger wie Gauguin oder Max Pechstein bewahrt und uns das große Vergnügen ermöglicht, ein ungewöhnliches Südseeabenteuer eines ungewöhnlichen Autors gewissermaßen multimedial mitzuerleben.